Der Corris-Geschäftsleiter Baldwin Bakker zeigt, dass man als BWL-Absolvent nicht nur Banker oder Consultant werden kann. Ein Portrait in der Schweizer Handelszeitung.
Mit 13 zog Baldwin Bakker 1989 mit seinen Eltern und Geschwistern von den Niederlanden nach Bern, wo sein Vater eine Stelle als Privatdozent innehatte. Ursprünglich wollte der heutige Geschäftsleiter der Fundraising-Agentur Corris Architekt werden. Aber seine Praktikumserfahrungen und die allgemeine Stimmung in der Branche gaben ihm, wie er erzählt, damals nicht das Gefühl, dass hier die Welt verändert würde. So studierte er an der Universität Bern Betriebswirtschaftswissenschaften. Mit der Idee, danach zum Radio zu gehen, wählte Bakker zunächst Medienwissenschaften als Nebenfach, wechselte aber nach 1,5 Jahren auf Volkswirtschaftslehre, weil dies für ihn eine bessere Ergänzung zum Hauptfach war. «Das BWL-Studium kann ich jedem nur empfehlen. Viele Dinge, die ich damals gelernt habe, wende ich auch heute noch im Alltag an», erinnert sich Bakker. «Zum Beispiel das analytische Vorgehen, das schnelle Verarbeiten und Verknüpfen von vielen Informationen und auch das Ganze dann in ein stichhaltiges Resultat zusammenzufassen.» Das seien alles Dinge, die man auch in anderen Studiengängen lernen könne, aber der Fokus auf das Setzen von Prioritäten und das Prozessdenken sei in der BWL besonders stark ausgeprägt.
Homo oeconomicus ist relativ
«Was vor 22 Jahren mit einem Telefon und einer Handvoll idealistischen Studenten begann, ist heute ein grosses Unternehmen, das auch entsprechend geführt werden muss», so der ausgebildete Fundraiser. Für über dreissig gemeinnützige Organisationen gewinnt die Agentur im Aussendienst an Infoständen und an der Türe neue Spender. «Diese Komplexität müssen unsere Prozesse auch abbilden können.» Bezahlt werden die Dienste von Corris nicht etwa durch die Spenden, sondern aus dem Marketing-Budget der Kunden, betont Bakker. Auch Tools wie die Postkorbübung oder die SWOT-Analyse finden bei Baldwin Bakker im Alltag als Geschäftsleiter noch Anwendung. Besonders gern erinnert er sich an das Fach Spieltheorie sowie an seinen Marketing-Professor, dessen Bücher er hin und wieder in die Hand nimmt. Trotzdem haben sich gewisse Studieninhalte im Laufe der Zeit auch relativiert. Gerade in seinem Tätigkeitsfeld müsse man die Theorie des Homo oeconomicus ganz klar als vereinfachten Idealtypus erkennen. Menschen seien einfach in gewissem Masse altruistisch. Auch seine eigene Forschung ist überholt: «Meine Liz-Arbeit habe ich zum Thema ‹E-Commerce als alternativer Vertriebskanal für klassische Konsumgüter› geschrieben», erinnert sich der 41-Jährige «Seitdem hat sich da natürlich einiges getan. Ein Businessmodell wie das von Zalando zum Beispiel konnte sich damals niemand vorstellen.» Auf die Frage hin, ob er rückblickend einen anderen Weg wählen würde, verneint der gebürtige Niederländer. Auch wenn Studium und Jobeinstieg wie ein vorgegebener Pfad erscheinen, so liege es doch bei einem selbst, wo die Reise hingeht. «Man muss auf sich selbst hören und das tun, was man mit Leidenschaft tun kann», lautet seine Überzeugung. «Denn wenn man an seine eigene Mission glaubt und Einsatz zeigt, wird man erfolgreich sein.» Im Fundraising hat Bakker eine Branche gefunden, welche Sinn und wirtschaftliches Denken vereint.
Vom Student zum Geschäftsleiter
So ging es ihm auch bei Corris. Er begann 1996 als Student für die FundraisingOrganisation zu arbeiten und entwickelte sich im damaligen Startup stetig weiter. «In meinem letzten Studienjahr kam der Gründer von Corris, Gerhard Friesacher, mit der Idee zu mir, in die Niederlande zu expandieren», erinnert sich der heutige Teilhaber und Delegierte des Verwaltungsrats. «Ich nahm die Herausforderung gerne an und baute während zwei Jahren den Standort von null auf.» Es sei eine spannende Erfahrung gewesen. Er musste ein Büro suchen, Kundenakquise an Fundraising-Messen machen bis hin zum Aufbau eines tragfähigen Netzwerks. Seiner tiefen Überzeugung bezüglich der Mission von Corris sei geschuldet, dass er sich auch nach sechs Monaten ohne Kunden nicht unterkriegen liess und schliesslich die Agentur zum Erfolg führte und an das neue Management übergab. Nach seiner Rückkehr aus den Niederlanden durchlief Bakker weitere Funktionen bei Corris und wurde schliesslich 2008 zum Geschäftsführer ernannt. So wie Baldwin Bakker damals steigen auch heute noch viele Studenten bei Corris als sogenannte Dialoger ein. Er nehme aus deren Berichten wahr, dass das Studium wieder strukturierter und verschulter geworden sei. «Obwohl die Studierenden tendenziell weniger Freiräume haben als ich damals, bin ich begeistert, mit wie viel Motivation sie bei Wind und Wetter für uns unterwegs sind», schwärmt er von seinen Aussendienstmitarbeitern. Und auch die Spendenbereitschaft der jüngeren Generation sieht er positiv: «Klar leben wir im Moment in einer Zeit der Unverbindlichkeit, aber trotzdem sind es erstaunlich viele jüngere Menschen, die sich an unseren Hilfswerk-Infoständen ansprechen lassen.»
Dieses Portrait über Baldwin Bakker, Geschäftsleiter der Corris AG, erschien am 19. Oktober 2017 in der Beilage „Studium & Karriere“ der Schweizer Handelszeitung. Autorin: Isabel Steinhoff, siehe PDF-Version.