Der folgende Artikel ist im Fundraiser-Magazin Ausgabe 2-2016 erschienen und gibt die Meinung des Autors Matthias Daberstiel wieder.
Face-to-face-Fundraising wird gern von den Medien als Angriffsziel für eine kritische Berichterstattung mit dem Thema Fundraising genutzt. Im Gegensatz dazu ist der Wunsch der Vereine, diese Methode anzuwenden, grösser denn je. Dabei ist alles eine Qualitätsfrage. Eine der erfolgreichsten, aber auch investitionsintensivsten Methoden für die Neuspendergewinnung ist das Face-to-Face-Fundraising. Mittlerweile können die spezialisierten Agenturen in dem Bereich die Nachfrage nicht mehr decken. „Vor zehn Jahren mussten wir die Vereine noch überzeugen, Face-to-Face-Fundraising auszuprobieren. Heute müssen wir leider vielen Vereinen absagen“, fasst Nadine Sachse, früher selbst Fundraiserin und heute Prokuristin und Leiterin Personal und Qualitätsmanagement bei der Berliner Agentur talk2move, die aktuelle Lage in Deutschland zusammen.
Doch viele Agenturen, wie auch talk2move, wollen nicht weiter expandieren. „Das Wachstum würde zu Lasten der Qualität gehen, und das ist in unserem Job extrem kontraproduktiv“, warnt Sachse. Ähnlich sieht das Robert Buchhaus von der Face2Face Fundraising GmbH aus Wien: „Ein Fundraiser kann einen sehr guten Mailingtext 100 Mal oder auch eine Million Mal drucken lassen und verschicken. Ein sehr guter Teamleiter kann aber nur fünf bis zehn Dialoger über ein paar Wochen gut betreuen und schulen – aber nicht gleich ein paar Tausend.“ Die Wachstumsgeschwindigkeit der Agentur sei da einfach begrenzt. „Selbst wenn ich morgen 1000 willige Kandidaten habe, die ich in ein T-Shirt stecke und an die nächste Ecke stelle, werden die sehr wahrscheinlich nicht erfolgreich. Für die Agentur also nur Kosten“, bringt es Buchhaus auf den Punkt. Insider sogar von verbrannter Erde, die Agenturen ohne Qualitätsanspruch in Deutschland hinterliessen und auch ihre Auftraggeber damit in ein schlechtes Licht rückten.
„Wir arbeiten vernünftig, überreden nicht, sondern führen ein freundliches Gespräch über Inhalte“
„Für mich ist es wichtig, dass sich die Menschen in den Fussgängerzonen nicht bedrängt fühlen. Es muss klar sein: Wir arbeiten vernünftig, überreden nicht, sondern führen ein freundliches Gespräch über Inhalte“, fasst Dirk Sabrowski, Geschäftsführer des Uno-Flüchtlingshilfswerks, zusammen. Er arbeitet hauptsächlich mit der Berliner Agentur DialogDirect zusammen. Das braucht gut ausgebildetes Personal. Die Schweizer Agentur Corris beschäftigt jedes Jahr rund 1000 Dialoger. Von den über 10 000 Bewerbungen im Jahr 2015 wurden aber nur 1000 Personen rekrutiert. Zehn Prozent der Bewerber übernimmt auch Buchhaus in seiner Agentur. Starke kommunikative Grundfähigkeiten, Positivität, emotionale Belastbarkeit und Kontaktfreude seien nur einige der geforderten Kriterien für eine Einstellung. „In der Schweiz muss man auch noch die jeweilige Landessprache in den Einsatzregionen fliessend beherrschen“, ergänzt Bernhard Bircher-Suits, Leiter Marketing & Communications bei der Schweizer Agentur Corris. Auch die Fitness sei wichtig, weil die Dialoger viel auf den Beinen sind.
Organisationen wie Greenpeace und Amnesty International setzen unter anderem wegen der fehlenden Kapazitäten der Agenturen und der intensiveren Kontrolle der Qualität schon länger auf Inhouse-Programme mit eigenem Personal. Nachteil ist, dass dies am Anfang wegen der enormen Vorlaufzeit noch arbeits- und kostenintensiver ist. Langfristig lohnt es sich aber, wie die Methode insgesamt. So gewann beispielsweise Save the children 2014 mit seinem Inhouse-Programm mit drei Koordinatoren in der Geschäftsstelle und 66 Mitarbeitern 11 000 Dauerspender mit Face-to-Face, wie Lasse Künzer, Leiter Fundraising und Kommunikation bei Save the Children, beim Norddeutschen Fundraisingtag 2015 berichtete. Auch für die Dienstleister ist Qualität ein Dauerthema. Deshalb setzen sie grosse Hoffnung in den geplanten Qualitätszirkel Face-to-Face-Fundraising, der sich in Deutschland nach dem Vorbild in Österreich mit zwölf NPOs und Dienstleistern gründete. Richtig wirksam ist er aber bisher noch nicht, was Nadine Sachse bedauert: „Je mehr Organisationen Face-to-Face-Fundraising betreiben, desto mehr Kritiker wird es geben. Deshalb ist es gut, verlässliche Qualitätskriterien zu haben, nach denen alle arbeiten.“ Dr. Günther Lutschinger, der die österreichische Qualitätsinitiative Fördererwerbung als Fundraisingverbandschef unter seinen Fittichen hat sieht noch weitere Vorteile: „Gemeinsam können wir viel besser gegen schwarze Schafe vorgehen und uns davon abgrenzen. Das merken dann auch die Städte, die für die Infostandgenehmigung zuständig sind, und nehmen uns als kompetenten Ansprechpartner wahr.“
„Verbote von Fördererwerbung sind ein unhaltbarer Zustand“
In der Standgenehmigung sieht Buchaus eines der grössten Probleme: „Verbote von Fördererwerbung sind ein unhaltbarer Zustand“, schimpft er. Städte sollten nur nach Kriterien wie Häufigkeit, Verteilungsfairness oder Verkehrssicherheit entscheiden können, was im öffentlichen Raum geschieht, aber nicht, ob in einem Gespräch zwischen Bürgern und Vereinen eine Fördermitgliedschaft vereinbart wird. „Das ist meiner Ansicht nach eine klare Beschneidung des Rechts von gemeinnützigen Vereinen!“ Auch die Einführung des Mindestlohns in Deutschland hat die Branche einiges gekostet. Das war im ursprünglichen Modell so nicht eingepreist. „Sowohl unsere Kunden als auch wir als Agenturen waren uns darüber einig, das Entlohnungssystem sofort auf den Mindestlohn anzupassen“, stellt Sachse klar. Ganz so verhielten sich aber offensichtlich nicht alle. Noch ein Grund für ein gemeinsames Qualitätsversprechen.
Die Schweizer Agentur Corris setzt die Tablets schon ein
Die grösste Umwälzung steht, glaubt man Günther Lutschinger, aber noch bevor. Durch Tablets statt des klassischen Klemmbretts wird es zu grossen Veränderungen kommen. „Filme und interaktive Elemente werden zukünftig das Face-to-Face-Fundraising noch viel stärker bestimmen“, glaubt er. Die Schweizer Agentur Corris setzt die Tablets schon ein. „Diese neue Technologie bringt für unsere Agentur neue logistische Herausforderungen mit sich. Es gilt, die Hard- und Software laufend im Sinne der Agentur und Auftraggeber weiterzuentwickeln und auch bisherige, analoge Prozesse neu zu gestalten“, sagt Bernhard Bircher-Suits und meint damit zum Beispiel die elektronische Zeiterfassung, digitale Standbewilligungen und die digitale Dialoger-Kommunikation. Dank einer multimedialen Spenden-App kann die Agentur Spenderdaten bereits landesweit kabellos übermitteln und Präsentationen multimedial zeigen sowie Social-Media in den Spendenprozess für das Peer-2-Peer-Fundraising integrieren. „Unsere Dialoger arbeiten am Infostand zum Teil auch bereits mit 3D-Datenbrillen. Damit kann der traditionelle Dialog mit neuartigen, virtuellen Sinneserfahrungen ergänzt werden.“ Passanten könnten sich so noch besser in die Lage von Betroffenen versetzen, erläutert Bircher-Suits. Er sieht im Tablet die Chance, Hilfswerk-Kampagnen am Infostand noch spannender und abwechslungsreicher zu gestalten. Talk2move ist noch vorsichtig. „Wir warten mal noch ab, bis die Kinderkrankheiten beseitigt sind. Grundsätzlich wird es aber auch bei uns zu einer Digitalisierung kommen“, ist sich Nadine Sachse sicher.
Quelle: Fundraiser-Magazin 2-2016, Autor: Matthias Daberstiel; Artikel im PDF-Layout