2010 lancierte Corris-Inhaber Gerhard Friesacher die Ladenkette Changemaker. Jedes der über 4000 Changemaker-Produkte erzähle «eine gute Geschichte». Ein Interview in «Der Bund».
«Der Bund»: Herr Friesacher, bei vielen Menschen wird in der zweiten Hälfte des Berufslebens die Sinnkomponente wichtiger. Haben Sie deshalb vor fünf Jahren die Ladenkette Changemaker lanciert, die ethisch hochwertige Produkte anbietet?
GERHARD FRIESACHER: Es gab da bei mir keine klassische Krise, keinen Wendepunkt. Ich sehe Changemaker als logische Fortsetzung meines unternehmerischen Wegs.
Sie haben die Universität nach fünf Jahren Betriebswirtschaftsstudium ohne Abschluss verlassen, um in einem Unternehmen zu arbeiten, das Marketingdienstleistungen für Non-Profit-Organisationen anbietet. Was stand im Vordergrund: Die Karriere oder die sinnvolle Tätigkeit für Hilfswerke?
Ich war kein Weltverbesserer, sondern hatte Spass am Marketing und wollte mich bewähren und mehr Verantwortung tragen. Bald konnte ich die Niederlassung in der Schweiz übernehmen, dann machte ich mich mit knapp 28 Jahren selbständig und gründete Corris. Es waren einige Zufälle, die dazu führten, dass ich für Hilfswerke Spenden sammelte. Aber natürlich hatte es seine Gründe, dass ich der Branche treu blieb. Es ist etwas anderes, ob man den Absatz eines sinnlosen Produkts steigert oder einen Beitrag zu einer wichtigen Sache leistet. Im zweiten Fall geht man mit besserem Gefühl zu Bett.
Als Inhaber der Firma Corris, deren Mitarbeiter auf der Strasse Passanten ansprechen und zu einer Spende zu bewegen versuchen, standen Sie mehrmals in der Kritik. Die wichtigsten Vorwürfe lauteten, es fliesse zu viel Geld in Ihre Kasse statt zu den Bedürftigen und Ihre Mitarbeiter würden unter Druck gesetzt und schlecht entlöhnt.
Ich wusste, dass Fundraising ein Minenfeld ist, weil wir unsere Arbeit im Spannungsfeld zwischen Gutmenschen und Marketingprofis verrichten, um es etwas plakativ zu sagen. Corris zählt rund 30 Hilfswerke zu seinen Kunden. Bei allen sind Profis am Werk, die sehr genau abwägen, mit wem sie zusammenarbeiten. Es liegt auf der Hand, dass Hilfswerke für gewisse Dinge Geld ausgeben – für Löhne, Büromiete, Infrastruktur und eben Marketing. Die meisten Organisationen investieren zwischen 10 und 20 Prozent ihrer Einnahmen ins Marketing, um die Spendeneinnahmen zu erhöhen. Wir als externe Profis machen das besser und günstiger als die Hilfswerke selber. Wir legen unsere Kalkulationen ihnen gegenüber offen. Dass wir mit 50 Festangestellten und 1000 temporären Mitarbeiter pro Jahr auch unseren Umsatz erzielen müssen, liegt auf der Hand.
War in Ihren Augen alle Kritik unbegründet oder haben Sie in manchen Punkten dazugelernt?
Wir waren eine Zeit lang zu nachlässig bei der Zeiterfassung – da ging es uns nicht anders als Hunderten anderer Firmen. Heute wird die Arbeitszeit elektronisch erfasst via App auf dem Tablet. Was die Lohndiskussion betrifft, hiess es vor 20 Jahren, wir würden die Mitarbeiter vergolden; später lautete die Kritik, sie müssten Überstunden machen und kämen doch auf keinen grünen Zweig. Heute erhalten unsere Mitarbeiter rund 3900 Franken fix und verdienen je nach Arbeitsqualität und Erfolg nochmals durchschnittlich rund 600 Franken an Bonus dazu. Das ist in meinen Augen ein faires Angebot.
Wie kamen Sie dazu, mit den Changemaker-Läden ins Retail-Business einzusteigen?
Zunächst war das als Erweiterung der Palette von Corris gedacht. Viele Hilfswerke unterhielten eine eigene Merchandising-Abteilung mit kleinen Shops. Wir wollten das professionalisieren. Aber wir merkten rasch: Es ist praktisch unmöglich, ein stimmiges Sortiment zu kreieren angesichts der unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen der Hilfswerke. So wurde daraus ein eigenes Projekt. Mit Personal, EDV, Marketing und Finanzierung kannte ich mich aus, Sortimentsgestaltung dagegen war Neuland für mich. Also suchte ich eine Projektleitung und fand Susanne Schmid, die lange als Einkäuferin im Detailhandel tätig war und zusätzliche Erfahrung aus der Entwicklungszusammenarbeit in Indien und Nepal mitbrachte. Sie war die ideale Geschäftsführerin für dieses europaweit neuartige Ladenkonzept.
«Ethik küsst Ästhetik» lautet der Slogan von Changemaker. Sollen die Leute durchs Einkaufen in Ihren sieben Läden die Welt verbessern oder bloss ihr Gewissen beruhigen?
Sie sollen zunächst Freude daran haben, bei uns reinzuschauen und Entdeckungen zu machen. Unser erster Anspruch ist, die Kunden durch ästhetische Ladengestaltung und gute Produkte zu überzeugen. Der Auftritt ist urban und trendig, nicht selbstgestrickt. Niemand geht Shoppen, um die Welt zu verbessern. Auf den zweiten Blick erfahren die Kunden, dass jedes der über 4000 Produkte eine gute Geschichte erzählt. Wir haben sieben Kriterien für Nachhaltigkeit definiert: Organic, Handmade, Fair&Social, Recycling, Eco-Friendly, Energy-Efficient und Swiss-Made. Unser Anspruch ist, dass jedes Produkt mindestens zwei, drei dieser Kriterien erfüllt. Manche schliessen sich aus: Die handgewobenen Seidenschals aus Kathmandu können wir nicht per Schiff in die Schweiz bringen, weil die Stückzahlen zu klein sind und es zu lange dauern würde. Wir lassen sie im Flugzeug transportieren. Das ist aus ökologischem Gesichtspunkt suboptimal, dafür stärkt es die Frauen in einer Region, die wirtschaftlich wenig Perspektiven bietet.
Ein Verkaufsschlager sind die Solarlampen «Sonnenglas».
Ja, das ist so. Es ist eine bestechend einfache Idee: Ein Einmachglas mit Solarzellen im Deckel, das als Tisch- und Leselampe verwendet werden kann. Ein Südafrikanischer Elektroingenieur hat das Produkt vor fünf Jahren entwickelt, um damit eine Alternative zu den Petroleumlampen und Kerzen zu schaffen, deren Gebrauch oft zu verheerenden Brände führt. Durch die grosse Nachfrage in Afrika, aber auch in Europa haben 60 Menschen, die vorher arbeitslos waren, einen bezahlten Job gefunden. Derzeit haben wir allerdings einen Lieferengpass. Weil es in Afrika viele Stromausfälle gab, werden die Solarlampen einstweilen dort gebraucht.
Können Sie bei über 4000 Produkten von mehreren hundert Lieferanten garantieren, dass bei keinem Kinderarbeit, Sklaverei oder andere unethische Produktionsumstände im Spiel waren?
Absolute Gewissheit gibt es nicht, wir können nicht alle Lieferanten und Subunternehmer selber überprüfen, sondern verlassen uns auch auf Labels wie zum Beispiel Fairtrade-Zertifikate und Einschätzungen von Non-Profit-Organisationen. Aber ich hoffe sehr, dass wir nie nachträglich erfahren, dass bei einem Produkt Kinderarbeit im Spiel war.
Lohnt sich das Geschäft?
Ich habe gemeinsam mit drei weiteren Inhaberfamilien einen höheren siebenstelligen Betrag investiert, um Changemaker zu lancieren. Dieses Jahr sollten wir erstmals schwarze Zahlen schreiben. Aber der starke Franken erhöht den Druck auf unsere Preise. Wir investieren viel Zeit und Geld in die permanente Erneuerung der Produktepalette. Deswegen haben wir auch die Idee, nach Deutschland zu expandieren, fürs erste wieder verworfen; das wäre schlicht zu teuer. Lieber eröffnen wir drei bis vier weitere Läden in der Deutschschweiz und einige in der Westschweiz und erweitern das Angebot vielleicht in Richtung Reisen, Lifestyle – immer unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Interessant wäre auch, künftig unter dem Label Changemaker verstärkt faire Produkte zu entwickeln und diese dann in den grossen Warenhäusern und Ladenketten zu platzieren.
Haben Sie Träume darüber hinaus?
Ja, ein grosser Traum wäre, eines Tages eine eigene Manufaktur zu besitzen, die etwas Schönes herstellt. Einmal selber Fabrikant sein, ganz am Anfang der Wertschöpfungskette stehen, etwas Handfestes produzieren – das wäre ein Traum.
Kontakt und Information:
www.changemaker.ch oder gerhard.friesacher@changemaker.ch
Interview: Mathias Morgenthaler, «Der Bund». Dieses Interview ist am 29. August 2015 in der Tageszeitung «Der Bund» und im Newsnetz erschienen (PDF im Original-Layout).