Der Entwicklungshelfer Dieter Imhof sieht auf seinen Reisen Dinge, die man nicht sehen will. Ein «Bund»-Artikel liefert Einblicke in seine Arbeit und die des Corris-Kunden Fairmed.
Ob er Angst habe? Dieter Imhof lacht. Einen Moment lang ist nicht klar, was für ein Lachen es ist. Er hat die Frage schon tausend Mal gehört, das steht fest. Aber findet er sie tatsächlich zum Lachen? Oder ist das Lachen die Flucht vor der Antwort? Dann sagt er, was alle sagen in dieser Situation: «Angst habe ich keine. Ich habe Respekt.»
Imhof ist es gewohnt, unterwegs zu sein, weit weg von zu Hause. Zu Hause, das ist der Bauernhof in Rüschegg-Hirschhorn. («Mein Hobby», sagt er.) Unterwegs, das sind die Krisenregionen dieser Welt. Imhof arbeitet für das Berner Hilfswerk Fairmed. Am Dienstag fliegt er wieder in die Zentralafrikanische Republik. Dort kümmert sich Fairmed um die Pygmäen der Aka, ein Volk, das im Süden des Landes lebt. «Weil sie keine Geburtsurkunde haben, gelten sie nicht als Bürger», sagt Imhof. «Wir versuchen, ihnen Zugang zu Schulen und Gesundheitsversorgung zu verschaffen.»
Zurück – in ein Kriegsgebiet
Drei Jahre ist es her, dass Imhof zum ersten Mal in die Zentralafrikanische Republik reiste. Damals war vieles noch in Ordnung. Dann kam der Krieg. Im März 2013 stürzten muslimische Seleka-Rebellen den Präsidenten François Bozizé. Seither tobt ein Kampf zwischen ihnen und der christlichen Anti-Balaka-Miliz. Im Mai dieses Jahres flog Imhof zum zweiten Mal in das Land, nun ein Kriegsgebiet. «Man muss die Situation differenziert anschauen», sagt er. Es habe sehr gefährliche Regionen gegeben. In anderen sei es ruhiger gewesen. Etwa in Bangui, der Hauptstadt, wo die Lage nur in einigen Quartieren unsicher gewesen sei.
Imhof berichtet von widersprüchlichen Eindrücken: «Einerseits hatte ich in der Stadt das Gefühl, es sei alles normal. Andererseits hörten wir jeden Tag, es seien wieder Leute ermordet worden.» Er erzählt von einem Anschlag auf eine katholische Kirche. Danach habe es einen Aufruhr gegeben, «das war ungemütlich». Er erzählt von einer Schiesserei im Stadtzentrum. Und er erzählt von Sicherheitskräften, die zu ihm gesagt hätten: «Wir können euch nicht schützen, wir haben keine Waffen.» – «Ich habe mich nicht direkt bedroht gefühlt», sagt Imhof.
Die Scheibe
Wie geht man damit um, so viel Leid zu sehen? Imhof überlegt lange. Dann sagt er: «Jemand hat mir mal gesagt, ich habe die Fähigkeit, eine Art Scheibe runterzulassen.» Es gelinge ihm gut, das, was er sehe, nicht an sich heranzulassen. Ausserdem könne er sich abgrenzen: «Wenn ich hier bin, bin ich hier. Und wenn ich dort bin, bin ich dort.» Aus Imhofs Mimik lassen sich kaum Gefühle ableiten, während er erzählt. «Ich versuche zu begreifen, was in der Zentralafrikanischen Republik geschieht», sagt er. «Aber das ist schwierig. In solchen Konflikten werden die Leute immer extremer.»
Ob man in seinem Beruf zynisch werde? Wieder überlegt Imhof lange. «Ja», sagt er schliesslich, «es gibt Momente, in denen ich bestimmte Dinge nicht mehr ernst nehme, oder Witze mache, die nicht angebracht sind.» Das sei wohl eine Abwehrreaktion auf Eindrücke, mit denen er nicht umgehen könne.
Nicht nach Afrika ziehen
Als Imhof vor Jahrzehnten in die Entwicklungshilfe einstieg, wollte er die Welt verändern. Dieses Ziel hat er aufgegeben. Heute sieht er seine Arbeit als Herausforderung. Afrika ist der Kontinent, mit dem er sich am meisten verbunden fühlt. Er hat, wie er sagt, ein gutes Verhältnis zur afrikanischen Kultur. Er bewundert die Lebensfreude, die sich viele Afrikaner trotz widriger Umstände bewahrt hätten. Imhof ist 60-jährig. Er sei daran, sich zu überlegen, was er nach seiner Pensionierung tun wolle. Nach Afrika ziehen? «Eher nicht», sagt er. «Dazu bin ich wohl zu sehr ein Schweizer.»
Morgen fliegt er also zum dritten Mal in die Zentralafrikanische Republik. Die Situation habe sich stabilisiert, sagt er. Es gehe nun darum, mit den Leuten im Land die Zeit nach der Krise vorzubereiten. Während des Kriegs hat Fairmed Nothilfe geleistet. Im Frühling will das Hilfswerk wieder seine frühere Tätigkeit aufnehmen und sich auf die Unterstützung der Pygmäen konzentrieren. Lediglich eine Woche will Imhof diesmal bleiben. Er rechnet damit, das die Lage ruhig sein wird, dass er überall hinfahren kann, wo er will. «Ich bin gelassen», sagt er.
Von Adrian M. Moser, «Der Bund», Siehe Originalartikel.